Ungebunden und doch kein Single. Viel gemeinsam und doch nicht zusammen. Die Protagonisten heißen Semi-Singles. Das Phänomen nennt man Teilzeit-Beziehung. Was dahinter steckt, ist die Bindungsangst.
Sie will keine Eltern kennenlernen. Er will nicht streiten. Sie will keinen Wohnungsschlüssel außer ihrem eigenen. Er will sich nicht rechtfertigen müssen. Sie will nicht zusammenziehen. Er will nicht heiraten. Da haben sich zwei getroffen, die beide dasselbe nicht wollen: eine Beziehung. Aber bloß eine Affäre wollen sie auch nicht. Sie wollen sich die Vorteile einer Partnerschaft herauspicken. Er will sie küssen. Sie will mit ihm Kuscheln. Er will mit ihr schlafen. Sie will Spaß mit ihm haben. Er will morgens neben ihr aufwachen. Sie will bei Kerzenlicht mit ihm abendessen. Aber wenn sie gerade nichts von all dem wollen, wollen sie ihre Ruhe. Sie wollen frei sein. Und doch irgendwie zusammen.
Hinter-Gründe. Früher waren vor allem die Männer die Schreckhaften, die vor einer festen Beziehung Reißaus nahmen. Heute scheuen auch immer mehr Frauen zurück. Vielleicht, weil sie schon einmal von eine, Ex-Partner oder auch von einer Bezugsperson in der Kindheit enttäuscht und verlassen wurden und Angst haben, wieder verletzt und im Stich gelassen zu werden. Vielleicht, weil die Beziehung der Eltern keine glückliche war und sie nicht herausfinden wollen, ob das womöglich in der Familie liegt. Vielleicht, weil sie befürchten, so eine Partnerschaft würde ihre Freiheit, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit massiv einschränken. Vielleicht, weil es noch so viel zu sehen und zu erleben gibt, bevor man sich für immer an eine Person bindet und eine Familie gründet, in der man Freiheit Selbstständigkeit und Unabhängigkeit tatsächlich etwas anders sehen wird. Vielleicht, weil sie ein paar Monate in New York leben, in einem buddhistischen Kloster den inneren Frieden finden oder nichts als Karriere machen wollen. Vielleicht auch nur, weil sie sich ausleben wollen oder glauben, dass irgendwo da draußen noch jemand ist, der besser zu ihnen passt, weshalb sie sich gar nicht erst auf einen Menschen einlassen und ständig Fehler beim Partner und Schwachstellen in der Beziehung suchen. Vielleicht aber auch, weil die Fehler wirklich beim Partner und die Schwachstellen in der Beziehung liegen. Und wenn nicht, reicht die emotionale Distanz, die daraus entsteht schon aus, um sich in die Bindungsangst zu flüchten. Aber: Wer Bindungsangst hat, sehnt sich trotzdem nach Liebe und Geborgenheit und sucht nach einem Beziehungsmodell, das die Lösung sein soll. Nun, dieses ist es nicht. Zumindest nicht langfristig.
Teilzeit-Beziehung. Man bekommt die Nähe, die einem als Single fehlt. Man geht so vertraut miteinander um, wie es in einer Affäre nicht möglich wäre. Man hat keine Verpflichtungen und keinen Stress. Und doch ist immer jemand für einen da. Man ist zusammen, wenn man zusammen sein will, ohne wirklich zusammen zu sein. Es gibt keine festen, es gibt nur individuell interpretierbare Regeln.
Die Teilzeit-Beziehung ist ein junges Phänomen, das viele Vorteile und auf den ersten Blick kaum Nachteile hat. Wie gemacht für Menschen mit Bindungsangst. Bis sie einer überwindet. Aus dem Wunsch eines Semi-Singles, aus der Teil- eine Vollzeit-Liebe zu machen, entstehen immer Probleme. Der andere kann entweder seine Befürchtungen über Bord werfen und sich darauf einlassen, oder er wirft seine Befürchtungen nicht über Bord und macht Schluss. Weiß man, wie Bindungsangst sich äußert, kann man die Antwort ahnen.
Alles Ausreden. Heute? Nein, heute muss man einen Freund treffen, dem es gerade nicht so gut geht. Morgen? Nein, morgen ist es schlecht, Fitnesscenter, da geht kein Schweinehund dran vorbei. Übermorgen? Nein, übermorgen hat die Mama eingeladen. Überhaupt schauts demnächst nicht gut aus. Der Stress, nicht wahr. Bis der nachlässt, jagen einander die Ausreden, um die Distanz zu wahren. Pläne zu vermeiden. Man ist unverbindlich, man ist zuverlässig. Würde man aussprechen was man denkt, würde man sagen: Ich will mich nicht einengen lassen. Die Wahrheit ist: Man will sich weder festlegen noch enttäuscht werden. Also verletzt man, bevor man selbst verletzt wird. Ein klares Zeichen von Bindungsangst.
Keine Verbindung. Sehr gern will man etwas unternehmen. Kino. Aber bitte nur zu zweit. Der Freundeskreis ist tabu. Was den Gedanken aufkommen lässt, dass man sich für den anderen schämt. Könnte sein. Wahrscheinlicher ist, dass man in der Sache keine wie immer geartete Beziehung sieht und den anderen deshalb niemandem vorstellen will. Wird man aus dem Leben des anderen absichtlich ausgeschlossen, sollte man sich nicht darauf verlassen, dass sich das irgendwann ändert und sich stattdessen selbst alle Möglichkeiten offenhalten.
Auch Launenhaftigkeit, ein kleiner Freundeskreis und viele Liebschaften können auf Bindungsangst hindeuten. Will der Semi-Partner keine Zukunftspläne schmieden, nicht über seine Gefühle reden oder keinen Sex haben, sind das ebenfalls Zeichen dafür. Und lässt man sich immer wieder auf so jemanden ein, sollte man einmal überlegen, ob das noch Zufall ist. Vielleicht ist man selbst noch gar nicht bereit für eine ernsthafte Beziehung.
Gegen-Maßnahmen. Hat man die Symptome der Bindungsangst erkannt, kann man sie kurieren. Die beste Medizin ist ein Gespräch. Wenn man von vornherein weiß, was sich der andere von einer Partnerschaft erwartet, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Ist man ehrlich gibt man dem anderen die Chance, sich Gedanken zu machen und entsprechend zu reagieren. Von einem Tag auf den anderen wird er seine Ängste allerdings nicht überwinden. Der Prozess ist langwierig, vertrauen lernt man nur Schritt für Schritt. Das Risiko, verletzt zu werden, muss man eingehen, sofern man nicht allein sein will. Andererseits muss einem klar werden, dass eine Beziehung nicht unbedingt eine Entscheidung für die Ewigkeit ist. Man hat immer die Freiheit, sich vom Partner zu trennen. Bevor man das tut, sollte man sich zwei Fragen stellen: Will ich das wirklich? Oder habe ich nur Angst?
—
Ein Artikel aus dem DM active beauty Magazin Nr. 2 April 2013.
Read Full Post »